Die Ausschmückung der besonders kostbaren Manuskripte, die Illumination, die Malerei auf der Kirchenwand und die Herstellung von Ikonen war den Malern vorbehalten.
Die älteste Nachricht über Malerei in einer äthiopischen Kirche stammt von einer Verwandten Mohammeds, die im 7. Jh. als Flüchtling am Hofe in Axum lebte und von der wunderbaren Malerei in der alten Kirche Maryam Seyon in Aksum berichtet. Die alte Malerei war sehr streng und geometrisch, sie änderte sich jedoch im Laufe der Zeit, ausländische Vorlagen wurden integriert, die Äthiopier passten die Malerei ihren Erfordernissen an. Als nach der Zeit der Verwüstung durch Mohammed Granj im 16. Jh. viele Klöster und Kirchen ihre zerstörten Bibliotheken und Kirchenbücher erneuern mußten, belebten sich große Werkstätten und Skriptorien in der Gegend um Gondar, wo Kaiser Fasiladas (1632-1667) die erste festen Hauptstadt gegründet hatte. Die Malkunst erblühte zu neuem Leben und brachte den Stil der Gondar-Epochen hervor, der auch heute noch die Malerei beeinflusst: Und noch heute es es: Wenn Du malen lernen willst, mußt du nach Gondar gehen!
Eine solche Ausbildung zum traditionellen Maler war besonders lang, ein junger Mönch oder Schüler begann als Lehrling unter der Anleitung eines erfahrenen Meisters. Die Techniken wurden Schritt für Schritt erlernt, das Herstellen von Pinseln und Farben, die Bereitung der Malgründe und die Vorbereitung der Ikonentafeln. Das meiste Werkstattwissen wurde mündlich weitergegeben1; obwohl es einige Musterbücher aus der Gondar-Periode gibt, fehlen bislang Rezeptsammlungen wie sie z.B. mit der aus dem frühen Mittelalter stammenden Mappae clavicula", u.a. in Europa bekannt sind. Die meisten Maler bleiben anonym, erst mit Beginn der Volksmalerei begannen die Künstler ihre Arbeiten zu signieren.
Es gibt viele Geschichten von Malern; Geschichten wie die vom Maler Za-Yohannes, der die Kirche in Mahedärä Maryam für Kaiser Yohannes IV. ausgemalt hat: Die Kirche wurde so einzigartig schön, daß der Kaiser befahl, dem Künstler beide Hände abzuhacken, damit er nie wieder eine solch wunderbare Malerei schaffen konnte. Man erzählt, Za-Yohannes habe mit den Füßen weitergemalt...
Regeln der Malerei:
Die Regeln der äthiopischen Tradition gelten von der frühen bekannten Malerei bis heute. Die Maler haben den Stil der späten Gondar-Periode im wesentlichen beibehalten, auch gibt es modernere, glattere Formen. Eine echte Weiterentwicklung ist nicht zu beobachten; noch in der Volksmalerei des 20. Jahrhunderts erkennt man jedoch zum Teil die Regeln der alten Tradition.
Diese Regeln gelten für alle drei Bereiche, die Buch-, Wand- und Ikonenmalerei:
* Zeitlosigkeit des Ausdrucks
* starke Stilisierung der Form
* Verzicht auf Dreidimensionalität
* Anwendung reiner Farben
Sie wurzeln in den Regeln der byzantinischen Malerei. Die Äthiopier knüpften daran an, prägten aber einen eigenen äthiopischen Stil. Diese ikonographischen Vorschriften mußten beherrscht werden, damit die Darstellung theologisch richtig und gleichzeitig für den Betrachter deutlich zu erkennen war.
Wichtige Darstellungsregeln sind:
- keine Individualität der Personen, sondern Typisierung:
Ein alter Mann, z.B. Joachim, gleicht dem Engel Gabriel, der als alter Mann bei der Szenen der Verkündigung Mariens erscheint, erst die Beschriftung sorgt für Eindeutigkeit.
- Bezug auf äthiopische Besonderheiten in - Physiognomie:
Typische äthiopische Kopfformen, Frisuren, Handformen.
Fast immer sind die Heiligen und Äthiopier hellhäutig dargestellt.
- Gestik:
Die Hand seitlich zum Gesicht und an die Wange erhoben (Maria unter dem Kreuz) = Staunen oder Erschrecken
Die wegweisende Hand mit zwei ausgestreckten Fingern = Belehrung, Anweisung, Beschwörung oder einfach Reden
Erhobene Unterarme mit nach rückwärts gehaltenen gestreckten Handflächen = Geben oder Bitten
Der ausgestreckte Zeigefinger weist auf eine besondere Begebenheit oder einen besonderen Gegenstand hin
Über der Brust gekreuzte Arme (Johannes unter dem Kreuz) = Ergebenheit
Hände, auf Schultern und Nacken gelegt (Johannes unter dem Kreuz) = Klage und Trauer
- Die Geste Satans, der den Finger in den Mund steckt (Fest der Tiere), ist die äthiopische Geste für Neid und Eifersucht
- Alltagsleben:
Gebäude, Mobiliar: (Maria sitzt auf einem äthiopischen dreibeinigen Hocker); Jesus zerbricht einen Wasserkrug.
Flora, Fauna
- Haushaltsgegenstände: (Salome trägt einen äthiopischen Eßtisch auf ihrem Kopf); Kleidung
Waffen
- Keine Perspektive:
Erst spät Anklänge an Landschaft.
- Blickregel:
Heilige (und Äthiopier) werden frontal oder im Dreiviertelprofil dargestellt. Schlechte Menschen (und Ausländer) im Profil.
Diese Regel erleichtert das schnelle Erkennen: hierdurch erkennt man einen Bösen sofort; sein böser Blick" kann den Betrachter nicht treffen. Ein Ausländer ist zumindest ein Unbekannter!
Wenn Satan frontal dargestellt wird, ist er immer in Ketten gebunden und damit für den Betrachter unschädlich.
- Proportionen:
Wichtige Gegenstände und wichtige oder heilige Personen werden größer als andere dargestellt, Stifterpersonen früher oft liegend, später auch kniend und stehend.
Die Malerei in der äthiopischen Kirche ist das Bild zum Wort", ihre äthiopische Prägung, holt das Heilsgeschehen ins eigene Land und macht es sinnenfällig. Deshalb wird sie vom äthiopischen Volk sehr geliebt
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