Dieser Satz entfuhr Hiwet, als ich ihr diese kleine Malerei zeigte. Die junge Frau war mit zwei kleinen
Kindern von Asmara über Khartoum nach Deutschland gekommen; damals arbeitete ich in der Flüchlings- arbeit. Hiwet erkennt in dem Bild ihre eigene Situation wieder, sie konnte ihre persönliche Erfahrung von Gottes Nähe und
Hilfe ausdrücken und verknüpft sie direkt mit der Geschichte der Hl. Familie. Hiwet schenkte mir mit diesem Satz einen Schlüssel für das Verständnis der sakralen Kunst Äthiopiens. Die seit biblischen Zeiten fast unveränderten Lebensumstände vor allem auf dem Land lassen die Gescheh- nisse der Bibel leicht nachvollziehen. Diese ungewöhnliche Lebendigkeit der direkten persönlichen Erfahrung von Gottes Handeln hier und jetzt im Alltag begegnete mir oft bei den Flüchtlingen aus Äthiopien und Eritrea, ich fand sie wieder in meiner Beschäftigung mit der äthiopischen sakralen Malerei.
Christliche sakrale Kunst in Äthiopien ist auf dem Boden der äthiopischen orthodoxen Kirche gewachsen. Sakrale Kunst schafft Bilder (zum Wort des Evangeliums) und Gegenstände, die dem kultischen Gebrauch dienen, sie vermitteln die Erinnerung an das Heilsgeschehen und stellen eine persönliche Verbindung zwischen dem Menschen und dem Heiligen her. Farben und Formen haben eine besondere Bedeutung und einen tiefen Sinn, der in der Tradition im Laufe von vielen Jahrhunderten gewachsen, bewahrt und verankert worden ist. Allen Ausdrucksformen sakraler Kunst kommt eine besondere Würde zu und es gebührt ihnen höchster Respekt.