Sakrale Kunst in Äthiopien
Äthiopische Kirchenkultur
Äthiopische Kirchenkultur durchdringt alle Lebensbereiche. Die Feste der Heiligen und die Hohen Feiertage prägten den Jahresablauf, die Namensgebung orientiert sich an den Heiligen (Gäbra Mäsqal = Diener des Kreuzes; ‘Amdä Seyon = Säule Zions; und viele andere), das Erlernen der Schrift geschieht in den Kirchenschulen anhand eines Textes aus dem 1. Johannesbrief. Das Gebetbuch der Äthiopier stellt das „Dawit“ dar, eine Zusammenstellung der Psalmen Davids und alt- und neutestamentlichen Cantica sowie Hymnen an Maria, die zum Wochen- und Festtagsoffizium der Kirche gehören: Den Gläubigen begleiten so biblische Texte in allen seinen Lebenssituationen. Viele Flüchtlinge, die in Deutschland, USA und überall in der Welt leben, kennen noch zahlreiche Psalmen und Hymnen auswendig, sie sind ihnen tägliches Gebet und Zuflucht in der Fremde. In Äthiopien stellte die Kirche für die zumeist verstreut in Einzelgehöften lebende bäuerliche Bevölkerung des äthiopischen Hochlandes, ein Zentrum für Zusammenkunft und Austausch der Bevölkerung dar. Der Jahresablauf mit seinen Festen, alle gesellschaftlichen und persönlichen Ereignisse des menschlichen Lebens waren mit der Kirche verbunden. So knüpfen heute die äthiopischen Gemeinden in der ausländischen Diaspora nahtlos an diese Tradition an.
Gewachsen ist diese traditionelle Kultur in vielen Jahrhunderten, in denen Äthiopien den Blick mehr nach innen als nach außen richtete: Es war ringsum in zunehmendem Maße vom Islam umgeben, mit dem es allerdings (bis auf die Zeit des Mohammend Granj im 16. Jh.) in friedlicher Nachbarschaft lebte.

Das besondere Selbstverständnis der äthiopischen orthodoxen Kirche

Die Äthiopier begünden ihr besonderes Selbstverständnis als Neues Volk Gottes in einer Legende: Das „Kebra Nägast“ erzählt die Geschichte der Stammutter des salomonischen Dynastie, der Königin von Saba; sie reiste nach Jerusalem zu König Salomo und kehrte mit dem gemeinsamen Sohn Menilek zurück. (Die Bibel berichtet von diesem Besuch in 1 Kön 10,1-10; 1 Chr 9,1-9) Menilek suchte später als junger Mann seinen Vater in Jerusalem auf und brachte viele gläubige Juden, Priester des Tempels und die Bundeslade mit nach Äthiopien, die nach äthiopischer Tradition noch heute in der Kirche Maryam Seyon in Aksum aufbewahrt wird. In der äthiopischen Kirche gibt deutliche jüdische Einflüsse, so in der Aufteilung des Kirchenbaus, dem „Tabot“ - einer Nachbildung der Gesetzestafeln Moses, die das Allerheiligste einer äthiopischen Kirche darstellen, den Fastengesetzen, u.a. Das christliche Äthiopien versteht sich als ein „Neues Volk Gottes“ und sieht in Aksum ein „Neues Jerusalem“ und in Maria die „Neue Bundeslade“.
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