Gutes Beispiel für Integration:

25 Jahre Äthiopisch-Orthodoxe Kirche in Deutschland - Wenn Sie singen, bebt die Erde

Evangelische Immanuelkirche 1997. Gemeindefest. Ein Gottesdienst mit fremden Trommelklängen und mitreißendem Gesang. 20 Jahre wohne ich zu diesem Zeitpunkt bereits mit meiner Familie in Köln, war jahrelang in der Pfarrgemeinde Sankt Bernhard aktiv. Von unseren äthiopischen Schwestern und Brüdern in Longerich hatte ich noch nichts gehört.

So nutzte ich nach dem Gottesdienst spontan die Gelegenheit und ging auf einen mich sympathisch anlächelnden Äthiopier zu. Wir kamen schnell ins Gespräch. Ich erfuhr zum ersten Mal, dass in Köln und Umgebung mehrere Hundert Äthiopier wohnen, die sonntags und an Feiertagen in der Lutherkapelle ihre Gottesdienste feiern. Dieser hoch gewachsene schlanke Äthiopier, so erfuhr ich ein wenig später in weiteren Gesprächen, war Erzpriester Dr. Merawi Tebege. Vor elf Jahren hatte ich also meine erste Begegnung mit ihm.

Weitere Jahre vergingen und die Begegnung mit den Äthiopisch-Orthodoxen Gemeindemitgliedern war nur noch schwach in meinem Gedächtnis geblieben. In der Pfarrgemeinde Sankt Bernhard arbeitete ich im Herbst 1999 in einem Arbeitskreis, der das Projekt Jahr "Schöpfung 2000" vorbereitete. Das Jahresende nahte - es mussten noch Nägel mit Köpfen gemacht werden. Als im Vorbereitungskreis darüber diskutiert wurde, auch die Pfarrgemeinde Sankt Dionysius und die Evangelische Immanuel-Gemeinde für diese große Veranstaltung im Rahmen des Umweltprojektes Agenda 21 zu gewinnen, fiel mir wieder meine Begegnung mit Dr. Merawi Tebege ein. Meine Anregung, auch die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche mit einzubinden, wurde gerne aufgenommen, und so übernahm ich die Aufgabe, den Chef der Äthiopisch Orthodoxen Kirche aufzusuchen und zur Teilnahme zu motivieren. Nach kurzen Erläuterungen zum Sinn und Zweck des Projektes "Schöpfung 2000" war Dr. Merawi Tebege auf Grund des integrativen Ansatzes dieses gemeindeübergreifenden Projektes sofort zum Mitmachen bereit. In den darauf folgenden Monaten war ich dann x-mal, oft zur späten Abendstunde, bei Dr. Tebege und habe mit ihm die gemeinsamen Programmpunkte abgestimmt. Noch Jahre später habe ich diese Abendtermine mit interessanten Gesprächen über Äthiopien und die Äthiopier in bester Erinnerung.

Ökumenisch, weltoffen und völkerverbindend starteten wir den erfolgreichen Versuch, die Probleme des einundzwanzigsten Jahrhunderts anzugehen. Mit fast 100 Veranstaltungen im Projekt Jahr 2000 wurden alle Alters- und Interessengruppen angesprochen. Wir konnten den Gemeindemitgliedern der damals noch insgesamt fünf Kirchengemeinden in Longerich ein wenig die Augen neu öffnen für die staunenswerte Größe und Schönheit der Schöpfung. Das Projekt wurde im Mai 2001 vom Kölner Erzbischof Kardinal Meisner in Anwesenheit des damaligen Thüringer Ministerpräsidenten Bernhard Vogel mit dem Anton-Roesen-Preis ausgezeichnet. Jeweils über 10.000 Jahresprogramme und Veedels-Stadtpläne (Stadtplan von Longerich) mit Informationen zu den kirchlichen Einrichtungen wurden den Longericher Haushalten zugestellt.

Im Rahmen der "Schöpfung 2000" wurde eine Blumen-Stauden-Pflanzung vor der Michaelskirche/Lutherkapelle vorgenommen, ein 6 m hoher Baum, eine Birke, im Kirchhof gepflanzt, ökumenische Bibelabende durchgeführt, Feste gefeiert und Gedanken ausgetauscht. Ein Höhepunkt war sicherlich der gemeinsame ökumenische Gottesdienst mit allen fünf Kirchengemeinden in der Sankt Bernhard Kirche. Das hatte es bis dahin noch nicht gegeben. Der Reinerlös der Veranstaltung kam der Rumänienhilfe wie auch der Äthiopienhilfe in Longerich zu Gute. Insgesamt 750 € (damals 1.500 DM) konnten im Jahr 2001 für zwei von äthiopisch"-orthodoxen Nonnen geführten Waisenhäuser im Raum Addis Abeba für Schulbildungszwecke zur Verfügung gestellt werden.

Die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche ist durch dieses Projekt und durch die später folgenden Aufsätze im Pfarrbrief des Seelsorgebereiches Longerich in den katholischen Kirchengemeinden bekannter geworden. Das Verständnis füreinander und die Hilfsbereitschaft haben seit dieser Zeit erheblich zugenommen. Deutlich wurde das bei einer Spendenaktion der sogenannten "Holzkurskinder" im Kölner Norden zum 20jährigen Bestehen der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche in Deutschland. Einen Scheck über 2.600 € konnten diese Kinder Dr. Tebege im Pfarrheim von Sankt Dionysius zu Gunsten dürrebetroffener hungernder äthiopischer Kinder übergeben.

Überhaupt war das Jahr 2003 hinsichtlich der Integration der Äthiopier im Raum Köln und wohl auch darüber hinaus ein großer Erfolg. Erstmalig gab es eine Prozession von der Michaelskirche zur Dionysiuskirche über den Lindweilerweg und die Longerieher Hauptstraße. 2000 Äthiopier sangen und tanzten zum Takt der Trommeln. Viele Longericher säumten die Straßen. Derartige Klänge hatten viele noch nicht vernommen. Alle waren sich einig: Wenn Sie singen, bebt die Erde! Und dann noch diese Vielfalt an Farben. Seitdem ist vielen klar: die Äthiopier sind ein Stück unserer Gemeinden, sie gehören zu uns. Sie haben mit ihrer vielfältigen Kultur unser Leben bereichert. Sie leben, wohnen und beten mitten unter uns.

Hochrangige Vertreter der christlichen Kirchen in Deutschland standen auf den Eingangstufen der Dionysiuskirche. Auch das war eine Premiere - so wie der Empfang im Gemeindesaal von Sankt Dionysius. Weltoffen waren wir das Jahr 2000 mit dem Schöpfungsprojekt angegangen, weltoffen zeigten sich im Juni 2003 die Longericher und die vielen auswärtigen Gäste unterschiedlicher Nationalität. Aufgrund der Prozession gab es Verzögerungen im Busverkehr von über einer Stunde - Busfahrer, Fahrgäste und Longericher Polizisten, die für die Verkehrssicherung der Prozession Sorge trugen, reagierten gelassen angesichts dieses großen Kulturereignisses. Das hatte Longerich noch nicht gesehen.

Im August 2004: eine Dienstbesprechung von Vertretern des Landschaftsverbandes Rheinland (Umweltamt und Amt für rheinische Landeskunde) bei Erzpriester Dr. Merawi Tebege. Das war der Startschuss für die Filmdokumentation über die orthodoxen Äthiopier im Rheinland. Das Drehbuch wurde geschrieben, alle hohen Feste und kirchlichen Ereignisse im Jahresablauf wie das Timkatfest zur Erinnerung der Taufe Jesu im Jordan, Fastenessen und Doppelhochzeit, Taufe und Patronatsfest wurden aufs Zelluloid gebannt. Umfangreiche Recherchen der rheinischen Volkskundler aus Bonn führten zu einem packenden Ergebnis: der Dokumentarfilm 'Wenn Sie singen, bebt die Erde" wurde im Rahmen der Filmpremiere am 19. November 2005 in der Immanuelkirche in Longerich erstmalig öffentlich aufgeführt. Er zeigt das religiöse Leben der orthodoxen Äthiopier im Rheinland und entwirft ein lebendiges Bild ökumenischer Zusammenarbeit. Das Resümee der Longericher: "Die können ja auch richtig feiern" kann man im feierverwöhnten Rheinland sicherlich als großes Kompliment verstehen. Nach Festreden von Pfarrer Jürgen Mocka, Corinna Beck und Dr. Fritz Langensiepen stimmte die Äthiopierin Tsega Tebege mit ihrer einfühlsamen, begnadeten Stimme die vielen Besucher in der vollen Kirche musikalisch ein. Als die äthiopischen Gäste bei einem Song aus ihrer Heimat unversehens und stimmgewaltig mit einsetzten, ging es mir wie allen anderen Gästen: es ging unter die Haut!

Einige Hundert Filme wurden inzwischen deutschlandweit verkauft, die Nachfrage hält weiterhin an. Ausgewählte Filmsequenzen sind auf der Homepage der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche unter                              http: //www. aethiopisch-orthodoxe-kirehe-deutschland.de zusehen. Die DVD wird im Rahmen der Bildungsarbeit von Schulen, Volkshochschulen, Kirchengemeinden und anderen Institutionen beim Medienzentrum Rheinland und den MediensteIlen der Kreise und Städte häufig angefragt und ausgeliehen. Macht dieser Film doch deutlich, dass die Integration der orthodoxen Äthiopier insbesondere im Rheinland in weiten Teilen gelungen ist. Bundesweit gab es eine sehr positive Presseresonanz zu dieser Film-DVD, die insbesondere auch die gelungene Integration der orthodoxen Äthiopier im Kölner Norden schildert. Die Welt am Sonntag widmete dem Thema eine ganze Seite!

Alle diese Aktivitäten haben hochgradig dazu beigetragen, die gegenseitige Akzeptanz zwischen Äthiopiern und Deutschen zu erhöhen und den Integrationsprozess zu fördern beziehungsweise zu unterstützen. So ist es inzwischen fast selbstverständlich, dass anlässlich der hohen äthiopischen Festtage die Gäste aus ganz Europa im Geschwister-Scholl-Haus in Longerich, einer Einrichtung des Sozialen Zentrums Lino-Club, oder in den Pfarrheimen der umgebenden Kirchengemeinden übernachten können. Die Durchführung einer europaweiten Fachtagung von äthiopischen Theologen und Studenten namhafter europäischer Universitäten im Geschwister-SchollHaus ist ein weiteres Beispiel dafür.

Weitere Veranstaltungen mit integrativer Bedeutung: Weltjugendtag 2005. Ein Longericher Bürger war persönlich bei Papst Benedikt XVI. eingeladen: Erzprieser Dr. Merawi Tebege war als offizieller Vertreter der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche in Deutschland am 19. August 2005 beim Ökumenetreffen der christlichen Kirchen im Kölner Maternushaus einer der geladenen rund 30 Gäste. Auch beim Abschlussgottesdienst am 21.8.2005 auf dem Marienfeld in Frechen war Dr. Tebege mit dabei. Als Gast des Papstes hatte er während der vierstündigen Festmesse mit ca. einer Million Jugendlichen aus aller Welt einen Ehrenplatz auf dem Altarhügel. Vor laufenden Kameras verabschiedete Papst Benedikt nach dem Festgottesdienst den Chef der Äthiopisch-Orthodoxen Kirche in Deutschland. Die Bilder gingen um die ganze Welt. ZDF, ARD und Phoenix haben diese Aufnahmen life übertragen.

2007 fand der evangelische Kirchentag in Köln statt. Wie schon in den Jahren zuvor war auch die Äthiopisch-Orthodoxe Kirche mit einem Informationsstand vertreten. Auch hier wurde die Gelegenheit genutzt, das kirchliche Leben der Äthiopier unter anderem an hand des Videofilms "Wenn Sie singen, bebt die Erde" illustriert darzustellen. In der Longericher Immanuelkirche fand anlässlich des Kirchentages zum zweiten Mal ein ökumenischer Gottesdienst aller drei Kirchen statt.

Neben dem Jubiläum "25 Jahre Äthiopisch-Orthodoxe Kirche in Deutschland" steht ein weiteres großes Ereignis bevor: der Kauf der Michaelskirche/Lutherkapelle. Viele Äthiopier in Deutschland mussten aus politischen Gründen ihr Land verlassen. Hier bietet sich die Chance, dass eine eigene Kirche den Äthiopiern zur neuen Heimat verhelfen kann.

Der Kölner Dom ist weltweit bekannt. Weltkulturerbe! Doch, was wenige wissen: ohne den Zentral-Dombau-Verein, der vor über 160 Jahren gegründet wurde, wäre der Kölner Dom nie vollendet worden und könnte auch nicht für kommende Generationen erhalten werden.

Die Michaelskirche/Lutherkapelle in Köln-Longerich ist selbstverständlich viel kleiner. Der geplante Kauf, die notwendigen baulichen Verbesserungen und die künftige Unterhaltung dieser denkmalgeschützten Kirche durch die Äthiopisch-Orthodoxe Kirchengemeinde in Deutschland machten auch hier im Sommer 2007 die Gründung eines Kirchenbauvereins erforderlich. Dem Vorstand gehören drei Äthiopier und drei Deutsche an: Dr. Merawi Tebege (Vorsitzender), Kebede Endalkatchew (beratendes Mitglied), Fisum Fekadu (beratendes Mitglied), Adolf Attermeyer (stellvertretender Vorsitzender), Elisabeth Peltner (Schatzmeisterin), Helmuth Jacob Philipp (Schriftführer), Kebede Endalkatchew (beratendes Mitglied), Fisum Fekadu (beratendes Mitglied). Der Kirchenbauverein, dem alle Interessierten unbedingt beitreten sollten, plant für die nächste Zeit verschiedene Veranstaltungen und Aktionen. Für den Zeitraum Ende April/Anfang Mai 2009 ist im Festzeit des Lino Clubs ein Konzert mit Tsega Tebege vorgesehen.

Die Mitgliederversammlung des Kirchenbauvereins findet am 13. Juni 2008 im Pfarrsaal von Sankt Dionysius in Longerich statt. Hierzu sind alle ganz herzlich eingeladen.

Adolf Attermeyer

Lieber ein Fremder in der Nähe
als ein Verwandter in der Ferne
(altes äthiopisches Spriichwort)

Zurück zu Salama Sonderausgabe